Freitag, 27. März 2015

Rezension: Umweg nach Hause von Jonathan Evison

© KiWi Verlag
Egal, wie sehr man auf Nummer sicher geht, egal, wie sehr man die Risiken minimiert, wie sehr man sich selbst und die Seinen vor der Außenwelt zu beschützen versucht, es werden immer wieder Unfälle passieren. - Seite 34

Inhaltsangabe:
Ben hat einen schrecklichen Schicksalsschlag erlitten und besitzt deshalb keinen Penny mehr. Tagtäglich läuft er vor  seinen Problemen und seiner Vergangenheit davon. Da er irgendwie Geld verdienen sollte, beschließt er sich für die häusliche Pflege von Trevor zu melden. Trevor ist 19 Jahre alt, unheilbar krank und durch eine Muskeldystrophie des Typs Duchenne sehr eingeschränkt. Er ist auf Hilfe angewiesen, war aber bisher mit keinem seiner Pfleger glücklich. Bob, der Vater von Trevor, hat nach dessen Diagnose sofort das Weite gesucht. In der Familie wurde ihm dies natürlich nie verziehen. Auch Trevor will von seinem Vater nichts wissen, der sich jedoch immer mal wieder ein wenig Mühe gibt um in Kontakt mit Trevor zu treten. Ben hat Mitleid mit Bob und überzeugt Trevor, im Auto von Washington State nach Salt Lake City zu fahren, um ihn zu besuchen. Auf dem Weg dorthin nehmen sie die Anhalterin Dot mit. Sie werden von einem Auto verfolgt, gabeln währenddessen noch eine reifenwechselnde Schwangere auf und sehen dabei die verrücktesten Sehenswürdigkeiten. Ben lernt auf dieser Reise, dass man sich irgendwann seinen Problemen stellen muss, dass man diesen nicht immer davonlaufen kann.

"Manchmal muss man lügen Forest. Manchmal ist das wirklich das Richtige."
"Das glaube ich nicht, Ben."
"Warum das denn nicht?"
"Es holt einen immer ein."
"Tut es nicht, nicht immer."
"Doch."
"Bullshit."
"Ist doch wahr, Ben."
"Nein, Forest, das ist eine andere Sorte Lüge. Wenn Lizzie dir einen Fisch malt, der aussieht wie eine große, haarige Kröte, was sagst du zu ihr? Dass es scheiße aussieht? Dass du sogar mit einem Bunststoft im Arsch einen schöneren Fisch malen könntest? Nein, Forest, du sagst, dass das der schönste Fisch ist, den du je gesehen hast, oder? Natürlich. Die Wahrheit ist manchmal eine glitschige Angelegenheit." - Seite 170

Meine persönliche Meinung:
Ein neues Buch von Jonathan Evison. Als ich dies erfuhr war ich richtig happy und das Verlangen, sein neues Werk schnellstmöglich in den Händen halten zu wollen, immer größer. "Alles über Lulu" fand ich damals richtig klasse. Ich war begeistert - ein grandioses Buch. Meine Erwartungen waren daher richtig hoch für "Umweg nach Hause". Eines kann ich euch jetzt sofort verraten, ich wurde absolut nicht enttäuscht. Ich bin traurig, dass ich es so schnell verschlungen hatte und nun kein weiteres Buch mehr von diesem Autor zur Hand habe. Nun heißt es warten, auf sein nächstes Werk.

In dieser Geschichte lernt man wundervolle Protagonisten kennen. Zum einen hätten wir Ben, der Fahrer. Er ist 40 Jahre alt, Krankenpfleger und steckt in einer großen Krise. Vor zwei Jahren hat er einen schrecklichen Verlust erlitten, ist deswegen hin und wieder etwas zügellos, reizbar und verwirrt. Er ist auf der Flucht vor seiner Frau, die ihm unbedingt die Scheidungsunterlagen überreichen will.
Trevor, auch Trev genannt ist ein schwärmerischer junger Mann mit blühender Fantasie und der Beifahrer von Ben. Er mag die Routine, den Wetterkanal, Fish and Chips und Mädchen. Er mag keine Toilettenkabinen ohne Türen, Mobile Toilettenhäuschen, Menschen, die mit ihm reden, als wäre er ein kompletter Idiot. 
Dot sitzt am Rücksitz, rechte Seite. Sie ist 18 Jahre alt und eigentlich keine Ausreißerin, auch wenn sie so aussieht und sich auch so benimmt. Sie ist stark gepierct, seit kurzem tätowiert und niemals warm genug angezogen. Sie besitzt eine harte Schale und einen weichen Kern. Sie mag gerne ältere Männer und Kopfhörer. Sie hasst schlechten Kaffee, Idioten und Gänsehaut. Lustiges Detail: Sie hat den besten Freund ihres Vaters verführt.
Peaches ist 21 Jahre alt, sitzt am Rücksitz in der Mitte, und ist derzeit im 9. Monat schwanger. Sie ist auf dem Weg zu ihrer Mutter nach Wyoming und Optimistin mit sonnigem Gemüt - das braucht sie auch. Ihr Freund wird nämlich zum dritten Mal verhaftet, sie ist arbeitslos und nicht versichert. Ihr Baby kommt in wenigen Tagen auf die Welt.
Elton ist ein 28-jähriger, der aussieht wie ein gehäutetes Wiesel und Rücken hat. Er sitzt am Rücksitz, linke Seite, ist mal wieder auf Bewährung entlassen und verstößt gerade gegen die Bewährungsauflagen. Er möchte Karriere als Erfinder machen und wartet auf das Patent für eine Diebstahlsicherung. Er mag Freie Marktwirtschaft, Freibier und Frei alles. Er mag keine Verräter und bekommt einen Tritt in den hintern, bevor die Reise mit Ben, Trev, Dot und Peacher vorbei ist.

Was soll die ganze Großartigkeit, wenn sie unbeständig ist, was sollen die ganzen Versprechen, wenn sie flüchtig sind? Wer will denn in einer Welt leben. in der das Leid das einzig Beständige ist, einem Ort, wo einem alles, was einem jemals wirklich wichtig war, in einem Augenblick genommen werden kann? Und es wird einem genommen, da braucht man sich gar nichts vorzumachen. Wenn man Glück hat, verschleißt das Leben langsam, wird vom Zahn der Zeit zernagt oder erodiert wie ein Gletscher, und dann bleibt man allein übrig und sortiert die Trümmer. Wenn man Pech hat, wird das Leben einem plötzlich unter den Füßen weggezogen wie ein Teppich, und dann kann man nirgends mehr stehen und hat nichts mehr, auf dem man stehen könnte. So oder so, man ist im Arsch. Es ist also eh alles egal. Was soll man sich da abrackern und schwitzen und heulen und tausend Hindernisse überwinden, warum lieben, träumen, sich kümmern, wenn sowieso alles auf die nächste Katastrophe hinausläuft? Ich reagiere nicht mehr auf Gezwitscher, auf den Ruf von lächelnden Gesichtern und offenen Kaminen und gemütlichen Wohnzimmern. Ich werde kein Nest mehr zwischen Rosenblüten bauen. Zu viele Dornen. - Seite 284/285

All diese Menschen sind vom Leben angeschlagen und kurz vor der Resignation. Jeder trägt sein eigenes Schicksal und deren Probleme auf dem Buckel. Diese Reise, die ein richtiges Erlebnis wird, wird jeden einzelnen in diesem Auto verändern. Eine Geschichte, die mit Tiefgang und richtig temporeich erzählt wird. Menschen, die füreinander da sind, sich gegenseitig ans Herz wachsen und ihre eigene Geschichte erzählen.

Eine bittersüße Reise zurück ins Leben, rührend und lustig zugleich. Ich habe die Reise mit diesen wundervollen und einzigartigen Protagonisten sehr genossen. Ich bin traurig, dass diese nun auch schon wieder zu Ende ist. Ich habe vieles erlebt und wurde dabei zum Schmunzeln eingeladen und zum Nachdenken angeregt. Ein kraftvoller Roman, ergreifend, komisch und unglaublich skurril. Ein bewegendes Buch, das glücklich macht. Ich empfehle jeden, in dieses Auto einzusteigen und sich auf die Reise mitnehmen zu lassen. Ein wunderbarer Schreibstil, der sich fluffig locker leicht lesen lässt, und einem dieses Buch schnellstens durchlesen lässt. Ich liebe "Alles über Lulu", "Umweg nach Hause" und vor allem Jonathan Evison!

Sie werden mir immer am Herzen liegen. Aber das mit dem Herzen ist leider manchmal schwierig. Manchmal muss man geben, wenn es überhaupt keinen Sinn ergibt. Manchmal muss man geben, bis es wehtut. - Seite 373


  • Gebundene Ausgabe: 384 Seiten
  • Verlag: Kiepenheuer&Witsch (9. Februar 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3462046594
  • ISBN-13: 978-3462046595
  • Preis: 19,99€ (D) - 20,60€ (A)

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