Dienstag, 5. April 2022

Rezension: Zum Paradies von Hanya Yanagihara

© Claassen Verlag

Manchmal kam es ihm vor, als wäre sein Leben etwas, was er nur endlich aufbrauchen wollte, um sich am Ende eines jeden Tages mit einem Seufzen in sein Bett zu legen, im Wissen, dass er sich wieder durch einen kleinen Teil seiner Existenz hindurchgearbeitet und einen weiteren Zentimeter auf ihr natürliches Ende zubewegt hatte. - Seite 18

Inhaltsangabe:
Drei Jahrhunderte und drei Versionen des amerikanisches Experiments. 1893 in einem Amerika, das komplett anders ist, als wir es aus Geschichtsbüchern kennen. Die Menschen leben und lieben so, wie sie es möchten. New York gehört zu den Free States. Ein junger Mann, der zu einer der wohlhabendsten Familie gehört, entzieht sich einer für ihn geplanten Verlobung mit einem standesgemäßen Verehrer und folgt einem charmanten, mittellosen Musiklehrer. 

1993, mitten in einer AIDS-Epidemie in Manhattan. Ein junger Hawaiianer teilt sein Leben mit einem älteren, reichen Mann. Dieser verschweigt im jedoch viele Schicksalsschläge aus seiner Kindheit und die seines Vaters.

Bild- und Zitatrechte: Claassen Verlag. Aus dem Englischen von Stephan Kleiner.

Ein Mensch war das schlimmste Vermächtnis, denn ein Mensch war von Natur aus unberechenbar. - Seite 288

2093, in einer von Seuchen zerrissenen, autoritär kontrollierten Welt. Die Enkelin eines einst mächtigen Wissenschaftlers versucht ihr Leben ohne ihn zu bewältigen. Sie versucht herauzufinden, wohin ihr Ehemann an manchen Abenden verschwindet und begibt sich dabei selbst in Gefahr.

Meine persönliche Meinung:
Drei Jahrhunderte, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und doch vieles gemeinsam haben. Ich habe "Ein wenig Leben" geliebt, vergöttert, verehrt. Ich liebe dieses Buch und es gehört zu meinen absoluten Lieblingsbüchern. Ich bekomme schon wieder Gänsehaut, wenn ich an dieses Buch zurückdenke. Für mich war somit sofort klar, dass ich ihren langersehnten neuen Roman lesen möchte. 
 
Erst als er viel älter war, würde er wissen, dass niemand je frei war, dass jemanden zu kennen und zu lieben bedeutete, sich seiner zu erinnern, selbst wenn derjenige noch am Leben war. Niemand konnte dieser Pflicht entgehen, und mit zunehmendem Alter sehnte man sich nach dieser Verantwortung, selbst wenn man sie manchmal hasste, dieses Wissen, dass das eigene Leben untrennbar mit dem eines anderen verbunden war, dass jemand seine Existenz unter anderem durch seine Verbindung zu einem selbst kenntlich machte. - Seite 292
 
Erst einmal möchte ich etwas zum Vorwort vom Verleger Karsten Kredel sagen. Wow! Zeilen, die mich unglaublich berührt und begeistert haben. Gänsehautmomente, da er gewisse Gedanken absolut in die richtige Richtung gebracht hat. Nach diesen 8 Seiten war ich sprachlos. Sehr bewegend und wohl das beste Vorwort, das ich je zu lesen bekommen habe.

Der erste Abschnitt, 1893 in Amerika, hat mir unglaublich gut gefallen. Diese Gänsehautmomente und die Begeisterung über ihr geschriebenes war endlich wieder zurück. Ein erster Teil, der unglaublich gut angefangen hat und mir die Hoffnung, dass es so gut wie Ein wenig Leben werden würde,immer mehr bestätigte.

Ihm war klar geworden, dass die Menschen am meisten von einem wollten, wenn man starb - sie wollten, dass man sich erinnerte, sie wollten Bestätigung, sie wollten Vergebung. Sie wollten Anerkennung und Erlösung; sie wollten, dass man sie von dem schlechten Gewissen befreite, das sie hatten, weil man ging, während sie blieben; weil sie einen dafür hassten, dass man sie verließ, und es ihnen auch davor graute; weil sie die Tatsache, dass man starb, an ihren eigenen unausweichlichen Tod erinnerte; weil sie sich so unwohl fühlten, dass sie nicht wussten, was sie sagen sollten. - Seite 296 bis 297

Leider verschwindete die Euphorie über den ersten Teil im zweiten ein wenig. Teil 2 fing zwar gut an, hatte für mich aber mittendrin immer ein paar Längen und ich hab mir etwas schwer getan, das Buch zur Hand zu nehmen, um weiterzulesen. Ich hatte nicht das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn ich nicht weiterlesen würde. Diese Momente hatte ich bei Ein wenig Leben zum Beispiel nie. Das konnte und wollte ich absolut nie zur Seite legen, weil mich die Geschichte so gefesselt und aufgewühlt hat.

Im dritten Teil, 2093 - in einer von Seuchen zerrissenen Welt, kam die Euphorie gott sei Dank wieder etwas zurück. Ein grandioser Teil, der wirklich skurril, anders und ganz fantastisch war. Eine ganz andere Welt, die unglaublich toll umgesetzt wurde. Zwar hatte auch dieser Teil für mich immer wieder ein paar Längen, aber im großen und ganzen fand ich ihn wirklich toll.

"Ich habe keine Angst, weil ich mich vor Schmerzen fürchten würde", sagte er langsam, und als er aufblickte, wirkten seine großen hellen Augen noch größer und heller als sonst. "Ich habe Angst, weil ich weiß, mein letzter Gedanke wird sein, wie viel Zeit ich verschwendet habe - wie viel Leben ich verschwendet habe. Ich habe Angst, weil ich sterben werde, ohne stolz darauf zu sein, wie ich gelebt habe." - Seite 299

Ganz begeistert bin ich einfach immer wieder vom Erzählstil von Hanya Yanagihara. Sie hat so ganz ihre eigene Art Geschichten niederzuschreiben und zu erzählen. Mit nichts und niemanden zu vergleichen, wie ich finde. Hanya Yanagihara liebt man oder eben nicht. Ich denke, dass es hier kein dazwischen gibt. Auch wenn mich dieses Buch nicht ganz so gepackt hat, wie Ein wenig Leben, mag ich es trotzdem sehr, da es so ganz anders und doch besonders war. Die Idee, ein Buch in 3 Teile aufzuteilen, die man auch mit dem Gedanken so lesen sollte, dass es alle eigenständige Geschichten sind, fand ich super, auch wenn ich anfangs ein wenig brauchte, mich daran zu gewöhnen, da ich mir doch etwas anderes erwartet habe. 

Ich wusste nicht, wie jemand, der imstande war, sein Kind zu verlassen, besser sein konnte als jemand, der nur versucht hatte, so viele Menschen wie möglich zu retten, auch wenn er dabei Fehler gemacht hatte. - Seite 679

Zur Handlung selber möchte ich eigentlich nichts sagen, da man es wirklich einfach lesen und sich drauf einlassen sollte. So habe ich es auch gemacht. Ich habe davor keine Rezensionen oder mir Bewertungen angesehen. Ich wollte mich einfach selbst drauf einlassen und mich überraschen lassen. Ich denke, dass das die beste Entscheidung für mich war, da ich ganz ohne Erwartungen an das Buch rangegangen bin. Obwohl... ich hätte schon gehofft, dass es mich wieder so wie Ein wenig Leben abholen würde. Für alles andere jedoch war ich komplett offen und unvoreingenommen.

Sich etwas zu wünschen, würde nichts ändern. Monatelang hatte ich mir jeden Tag gewünscht, Großvater würde zurückkommen - ehrlich gesagt, wünschte ich es mir immer noch. Aber das würde er niemals tun. Es war besser, gar nichts zu wollen: Etwas zu wollen, machte nur unglücklich, und ich war nicht unglücklich. - Seite 681

Wenn ich die Themen des Buches interessieren, dann schnappt euch diesen tollen Schmöker und lässt euch einfach drauf ein. Es ist gut, aber nicht so gut wie.... ihr wisst schon!


  • Herausgeber: Claassen; 2. Edition (11. Januar 2022)
  • Sprache: Deutsch
  • Gebundene Ausgabe: 896 Seiten
  • ISBN-10: 3546100514
  • ISBN-13: 978-3546100519
  • Originaltitel: To Paradise
  • Preis: 30,90€ (A) 
- draufklicken und in der Buchhandlung bestellen, in der ich arbeite :)

 

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